Unterrichtsplan

Darja Kasiakowa Belarussische Staatliche Pädagogische Universität, Minsk, Belarus

16-19 Jahre

90 minutes

Ziel

Beschäftigung mit der Erinnerungskultur von Ereignissen des Zweiten Weltkriegs in Belarus, Deutschland, Polen und Russland.

Aufgaben

-> Darstellung der Phasen und besonderen Merkmale der Entwicklung der Erinnerungskultur des Zweiten Weltkriegs in verschiedenen Ländern;

-> Analyse der besonderen Merkmale wie Militärgeschichte wahrgenommen wird, und die Rolle der Kriegserlebnisse auf verschiedenen Ebenen (individuelle und kollektive Erinnerungen, die Politik der Erinnerungskultur auf Staatsniveau);

-> Durchführung einer komparativen Analyse der Erinnerungskultur des Zweiten Weltkriegs in bestimmten Ländern;

-> Verständnis über die Bedeutung der Erinnerungserhaltung der tragischen Kriegs-ereignisse schaffen, als wichtige Eigenschaft eines Vertreters unserer modernen, multikulturellen und globalisierten Welt.

Arbeitsmethoden

Einzel- und Gruppenarbeit, Leitung durch Lehrkraft.

Lernmethoden

Freie Assoziation, Konversation, „World-Café“, Brainstorming, mündliche Präsentation, Vergleich, Diskussion, Spiel „Rucksack“.

Material

Ein Projektor, Flipchart mit Papier, Textmarker, internetfähige Geräte (eventuell durch Mitbringen eigener Geräte), Kopien.

Vorbereitung

Die SuS sollen ihre Kenntnisse über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus dem Unterricht reaktivieren und das schulische Material über das Thema aus ihren Geschichtsbüchern gedanklich aufrufen.

Unterrichtsverlauf

Phase I
Auffrischung von Wissen und Definition des Ziels

Thema Lernmethoden Arbeitsmethoden Dauer
Was weiß ich über den Zweiten Weltkrieg in:
а) Polen
b) Russland
c) Belarus
d) Deutschland
Freie Assoziation, Konversation Einzelarbeit, Leitung durch Lehrkraft 10 Minuten

Phase II   Hauptphase
Materialstudie

Thema Lernmethoden Arbeitsmethoden Dauer
Memorialisierung
Ebenen der Erinnerung
Erinnerungskonflikte
„World-Café“, Brainstorming Gruppenarbeit 15 Minuten für jeden Tisch = 45 Minuten
Präsentation der Ländertische Mündliche Präsentation Leitung durch Lehrkraft 5 Minuten für jeden Tisch = 15 Minuten

Phase III
Erste Zusammenfassung und Analyse der Erkenntnisse

Thema Lernmethoden Arbeitsmethoden Dauer
Erinnerungskultur in verschiedenen Ländern Vergleich, Diskussion Leitung durch Lehrkraft 15 Minuten

Phase IV
Reflektion

Thema Lernmethoden Arbeitsmethoden Dauer
Reflektionen der SuS über das Erlernte „Rucksack“ Einzelarbeit 5 Minuten

Phase I: Auffrischung von Wissen und Definition des Ziels

10 Minuten

Die Tafel / der Flipchart wird geviertelt. Jeder Teil hat den Namen eines dieser Länder: Polen, Russland, Deutschland, Belarus. Die Lehrkraft ermuntert die SuS dazu, mit der Methode der freien Assoziation zu arbeiten: Die SuS schreiben in unterschiedliche Ecken, was sie über die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs in diesen Ländern wissen, gehört haben oder was ihnen sofort dazu einfällt. Alle Antworten sind erlaubt: Konzepte, Namen, Daten, Erinnerungsorte, Autoren, Gefühle usw.

Erwartung

Die Lehrkraft:
-> Erfährt, was die SuS zum Zweiten Weltkrieg in ihrem eigenen und in anderen Ländern Europas wissen.

-> Wird dann die genannten Elemente untersuchen und die folgenden Fragen diskutieren:

  • Wissen wir viel oder wenig über den Krieg in anderen Ländern;
  • Warum sind die Elemente so ähnlich / verschieden;
  • Können wir sagen, dass jedes Land einen eigenen Krieg führte, und dass die genannten Elemente als „unterschiedliche Kriege“ gelten?

Phase II: Hauptphase

Materialstudie

Die SuS werden zufällig in drei Gruppen eingeteilt. Für den Rest dieser Unterrichtsphase gilt der Methode „World-Café“.

60 Minuten

Die Methode „World-Café“ ist eine konzentrierte formlose Diskussion von Problemfragen, die mehr als eine Antwort haben und die ganze Bandbreite an Meinungen abbildet (mehr dazu in Anhang 1). Die oberste Regel im „World-Café“ ist, dass es keine Kritik gibt: Jeder kann seine Meinung sagen. Alle Meinung sollten auf dem Flipchart aufgenommen werden. Dadurch entwickelt man einen vielschichtigeren Blick auf das Problem und berücksichtigt verschiedene Perspektiven.

Die Lehrkraft sollte den SuS das Material auf drei Tischen erläutern:

Tisch 1

Memorialisierung der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs

Fotos von Denkmälern von vier verschiedenen Ländern (Anhang 2):

  • Das Denkmal für die Opfer des Krieges in Bad Nauheim, Deutschland;
  • Das Denkmal für die im Osten Gefallenen und Ermordeten in Warschau, Polen;
  • Das Denkmal „Unbesiegt“ im verbrannten Dorf Katyn, Belarus;
  • Die Mutter-Heimat-Statue in Wolgograd, Russland.

Die SuS haben folgende Aufgaben:

-> was ist dargestellt und welchem Ereignis ist das Denkmal gewidmet; the country in which the monument stands;
-> in welchem Land steht das Denkmal;
-> was transportiert das Denkmal (Welche Botschaft wollten die Kunstschaffenden übermitteln/welche Botschaft erhält das Publikum);
-> was hat den Standort des Denkmals beeinflusst;
-> welche Erinnerung des Krieges wird durch das Denkmal / Land transportiert, und was sagt das über die Gesellschaft dieses Landes aus?

Tisch 2

Ebenen der Erinnerung

Auf dem Tisch sind vier Karten: Drei Karten enthalten Beispiele von individuellen, kollektiven und staatlichen Erinnerungen in unterschiedlichen Ländern. Die vierte und leere Karte können die SuS mit Beispielen aus dem eigenen Land ausfüllen.

Die Aufgabe der SuS ist es, eine Karte mit den Beschreibungen der Erinnerung-sebenen in ihrem Land zu vervollständigen. Sie sollten ebenso konkrete Beispiele verwenden wie auf den Karten der anderen drei Länder. Sie können Zitate wählen, Maßnahmenbeispiele und Gedenkereignisse, Initiativen (sowohl bekannte als auch eher unbekannte) usw.

Die Karten sollen Folgendes beinhalten:

Welche Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg gibt es:

  • in deiner Familie (z. B. eine echte Geschichte oder eine kollektive Erinnerung);
  • in deiner Stadt oder Region (z. B. eine Erinnerung der Gemeinde);
  • in deinem Land (Politik).

Material für die Karte zu Belarus

а Kindheitserinnerungen des Krieges. Viktor Tsybulko, 1935 geboren, in Borisow, Region Minsk.

Die Stadt war belagert. In der Stadt lebten vorrangig Frauen, ältere Menschen und Kinder. Die Besatzer zwangen sie zur Arbeit, und die Jüngeren arbeiteten in Deutschland. Oft hatten wir nichts zu essen, und es gab nicht genug Feuerholz für den Ofen, um das Haus zu heizen. Es war hart und beängstigend, niemand wusste, wo unsere Armee war oder wann und wie der Krieg enden würde. Mein Vater starb 1941 an der Front, und mein 15 Jahre alter, großer Bruder tauchte unter und kehrte erst nach Kriegsende zurück. Meine Mutter, Schwester und ich verbrachten drei Jahre im belagerten Borisow. Wir hatten Angst und Hunger. Ich habe in meinem Leben nie etwas Schlimmeres als Krieg erlebt.

b Minsk: eine Helden-Stadt

Die Hauptstadt des Belarus wird wegen des harten Lebens der Menschen und der aktiven Partisanenbewegung im Kampf gegen die Nazi-Besatzer als „Helden-Stadt“ bezeichnet. Mehr als 130 Straßen wurden nach Kriegshelden benannt (Wera Choruschaja, Josif Belski, Wasili Koslow, Wladimir Lobanok, Roman Machulski, Fjodor Surganow, Marat Kasei, Wasili Korsch, Wassil Talasch, Isai Kasajnets usw.). Ein Großteil davon sind belarusische Partisanen. Zu ihren Ehren wurden Denkmäler in verschiedenen Stadtteilen errichtet. Belarus wurde ebenfalls als „Partisanenland“ bezeichnet.

c Siegesparade

Am 9. Mai wird eine Siegesparade in der Hauptstadt von Belarus abgehalten. Dabei marschiert die Armee, die Ehrengarde und verschiedene Sicherheitseinheiten des Landes auf, und militärische Ausrüstung usw. wird präsentiert. Kriegsveteranen, Schülerinnen und Schüler und Studierende sowie Vertreterinnen und Vertreter von öffentlichen Organisationen werden zur Parade eingeladen. Die Parade wird persönlich vom Staatsoberhaupt von Belarus abgenommen.

Siegesparade, Minsk, Belarus. Foto: Live Berichterstattung des Kanals ONT. Quelle: Belnovosti

Material für die Karte zu Russland

а Kindheitserinnerungen des Krieges. Inessa Endaltsjewa, 1937 geboren, Swerdlowsk (heute Jekaterinburg), Ural.

Das Leben war hart. Unser Essen war wirklich schlecht: Wir aßen sehr oft Ölkuchen, etwas, das wir „Mischmasch“ nannten, also Mehl in Wasser gekocht, und Kartoffeln... Unsere Schwester war sehr naiv, sehr gesellig. Wenn sie auf dem Hinterhof herumlief, beachteten die Soldaten sie immer. Ihr wurden immer Süßigkeiten gegeben. Jemand hatte für sie eine Schürze mit einer Tasche angefertigt, und wenn sie zurückkam, hatte sie immer etwas dabei: Süßigkeiten, Schokolade, eine Art Brot. Sie brachte uns immer etwas mehr zum Essen...

Es war schrecklich, als wir unsere Essensmarken verloren... Diebe brachen bei uns ein. Wir wohnten im vierten Stock. Es war erschreckend, wie sie in die Wohnungen einfielen. Wir wohnten in einem großen Militärhaus. Mutter verbarrikadierte die Tür mit einem Birkenstamm (von der Wand zur Tür). Meine Mutter weckte mich eines Nachts auf und sagte: „Innoschka, sie wollen in unsere Wohnung einbrechen, los, wir setzen uns hier hin.“ Sie öffneten bereits die Tür, aber wir saßen auf dem Stamm und drückten gegen die Tür, damit der Stamm liegenblieb.

Musste jemand beerdigt werden, versammelten sich alle, trauerten und halfen.

b St. Petersburg – Leningrad

Die Bibliothek der Europäischen Universität hat eine virtuelle Buchausstellung „Erinnerun- gen an die Belagerung von Leningrad erhalten“ ins Leben gerufen: https://eusp.org/news/pamyat-o-blokade

Buchtitel verraten viel über die Erinnerung:

  • Blockade. Die Tragödie von Leningrad. St. Petersburg Staatliche Universität für Technologie und Design. Autor*innen und Herausgeber*innen: S. B. Borzenko, A. O. Kozhemyakin. St Petersburg, Rekonstruktsiya, 2014. 227 S.
  • Hartnäckige Stadt. Blockade 1941-1944. [Fotoalbum]. Vorwort: V. Nikitin. St Petersburg, Limbus Press, 2019. 271 S.
  • Zeichnungen von Kindern aus Leningrad während der Blockade Drawings, au seiner Sammlung des Staatlichen Geschichtsmuseums St. Petersburg. Katalogisiertes Album. Staatlichen Geschichtsmuseums St. Petersburg. Herausgeber: A.N. Kolyakin, Y.B. Demidenko, E.B. Tratsevskaya. St Petersburg, 2016. 318 S.
  • Bilder der Erinnerung. Denkmäler zur Erinnerung der Verteidiger Leningrads und der Opfer der Blockade. Zum 100. Geburtstag von M. A. Dudin. Katalogisiertes Album. Staatliche Gedenkstätte und Museum zur Verteidigung und der Belagerung Leningrads, u.a. St. Petersburg, Evropeysky Dom, 2016. 89 S.

c Das „Unsterbliche Regiment“. Ursprünglich eine nichtstaatliche Initiative. Vom Staat unterstützt.

Das oberste Ziel des „Unsterblichen Regiments“ ist die Erhaltung der individuellen Erinnerungen jeder Familie in der Generation, die den Großen Vaterländischen Krieg (Name des Zweiten Weltkriegs im heutigen Russland sowie anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion). Die Mitglieder des „Unsterblichen Regiments“ erinnern an und ehren ihre Verwandten, die Soldaten oder Matrosen, Partisanen, untergetauchte Arbeiter, Widerstandskämpfer, Arbeitende an der Heimatfront, Gefangene in Konzentrationslagern, Opfer der Belagerung oder Kinder des Krieges gewesen sein konnten. Die Mitglieder des „Unsterblichen Regiments“ erinnern an und ehren ihre Verwandten, indem sie am 9. Mai mit entsprechenden Fotografien (oder mit Namenstafeln, falls keine Fotos existieren) auf die Straße gehen und so an der Parade des „Unsterblichen Regiments“ teilnehmen. Die Menschen würdigen unabhängig davon die Erinnerungen der Kriegsgeneration, indem sie ein Banner mit einem Porträt, Namen oder Foto zur Ewigen Flamme tragen, welche ebenfalls eine Gedenkstätte darstellt. Die Beteiligung am „Unsterblichen Regiment“ ist ausdrücklich freiwillig.

Das “Unsterbliche Regiment” in St. Petersburg. Foto: Vasyatka1, CC BY-SA 4.0. Lizenzfrei: Wikipedia

Material für die Karte zu Deutschland

а Die Geschichte einer Kriegsbeteiligten. Marion Baruch, 1919 geboren, Hamburg.

Marions Vater war Georg Baruch, ein bekannter jüdischer Händler aus Hamburg. Sie beendete erfolgreich ihre höhere Schulbildung, spielte Klavier, malte und war ein engagiertes Mitglied der kulturellen Gemeinde. Sie beendete eine Ausbildung als Grafikgestalterin. Marion begann 1937 ihre Arbeit als Werbekünstlerin, aber 1938 wurde sie entlassen, weil sie Jüdin war.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte Marion nicht mehr nach England ausreisen. Sie hätte eher gehen können, aber sie wollte ihren Vater nicht im Stich lassen. Georg Baruch war sechs Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen und hatte es mit schweren Frostverletzungen an den Händen verlassen. Am 8. November 1941 wurden Vater und Tochter nach Minsk deportiert. Nach einigen Berichten arbeitete Marion auch als Künstlerin im Getto. Sie malte beispielsweise Schilder.

Was danach mit Marion passierte, kann man einem Brief von Heinz Rosenberg entnehmen, ein Überlebender des Minsker Gettos: „Im Juni 1942 wurde das Personal in der Kommandantur ausgetauscht und Hauptscharführer Rübe, ein außerordentlich grausamer Mann, nahm den Posten ein. Eines Tages sah er ein schönes Schild und fragte nach, wer es denn gemalt hatte. Er bestellte Marion in die Kommandantur ein. Nach einem kurzen Gespräch brachte er sie zum Friedhof, wo er sie erschoss.”

b „Stolpersteine“ in Deutschland und in Europa

Erinnerungen werden unter anderem in Form von „Stolpersteinen“ erhalten: die größte dezentrale Gedenkstätte der Welt. Eingravierte Betonsteine mit der Seitenlänge von 9,6 cm wurden auf Straßen in mehr als 20 Ländern Europas eingesetzt. Die Standorte sind keinesfalls zufällig gewählt: „Stolpersteine“ befinden sich in der Nähe von Häusern, in denen unschuldige Opfer des Nationalsozialismus wohnten. Es befinden sich Kupferplatten auf jedem „Stolperstein“ mit den eingravierten Namen und Geburtsdaten des Opfers. Darunter stehen das Deportationsdatum und der Ort, an dem sie starben. Die Intention dieser Steine steckt im Namen: Passierende sollen den ungewöhnlichen Stein bemerken, anhalten und den Namen darauf lesen. Dadurch wird die Erinnerung an diese Person, die durch die Verbrechen des Nationalsozialismus starb, am Leben erhalten. Die folgenden „Stolpersteine“ sind an einem Haus am Rheinufer in Düsseldorf angebracht.

Stolpersteine in Düsseldorf. Foto: Darja Kasjakowa

c Rede vom Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag.

“Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Seinem Schicksal gemäß hat jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle [...] Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein finden. Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter. Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.“

“Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.“

“Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, dass Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang [...] Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft [...].“

“Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit. Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben. Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind. Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mussten. Wir gedenken der erschossenen Geiseln. Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von uns besetzten Staaten. Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten. Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen [...].“

“Die Menschen in Deutschland wollen gemeinsam einen Frieden, der Gerechtigkeit und Menschenrecht für alle Völker einschließt, auch für das unsrige. Nicht ein Europa der Mauern kann sich über Grenzen hinweg versöhnen, sondern ein Kontinent, der seinen Grenzen das Trennende nimmt. Gerade daran mahnt uns das Ende des Zweiten Weltkrieges [...].”

Material für die Karte zu Polen

a Kindheitserinnerungen des Krieges. Zdzislaw K., Gemeinde Drohobytsch Woiwodschaft Lwiw

Der traurigste Tag meines Lebens war, als meine Mutter eines Nachts krank wurde. Es gab keinen Arzt oder so, ich war ganz allein. Ich musste aufstehen, Wasser erwärmen. Aber es gab kein Feuerholz. Ich rannte auf den Hof und fand ein Holzstück. Ich machte Feuer und kochte etwas Wasser. Mama hatte einen sehr stechenden Schmerz im Herzen. Das Wasser half nicht, und ich musste mitten in der Nacht zum Krankenhaus im nächsten Ort.

Am nächsten Tag, als Mama im Krankenhaus war, wollte ich Lebjoschki [Flachbrot] holen, aber die russischen Frauen wollten mir keine verkaufen. Sie sagten, dass Mutter nicht arbeiten würde, deshalb bekämen wir kein Brot. Ich ging weinend davon und setzte mich auf das Fensterbrett. Ich kratzte mich, weil Läuse mich gebissen hatten. Ich ging zum Markt und musste Karotten klauen. Als meine Mutter wieder vom Krankenhaus nach Hause lief, wurde sie ohnmächtig, weil sie so hungrig war. Ich saß am Fenster, und als ich sie stürzen sah, rannte ich zu ihr. Ich erzählte ihr alles, und sie ging zum Kommandanten. Er sagte ihr, dass er nichts mit ihren Problemen zu tun hätte.

Später gab es ein Gottesdienst in der Kirche, und die Armee Polens war bei uns. Die Russen lachten uns aus, weil wir in die Kirche gingen. Ich bin so froh, dass ich bereits dieser Hölle entkam.

Aus War Through Children’s Eyes: The Soviet Occupation of Poland and the Deportations, 1939-1941, von Irena Grudzinska-Gross und anderen.

b Gedenktafel in Warschau

Gedenktafel in Warschau, Polen.
Foto: Thunderman83. Lizenzfrei: Wikimedia

Eine der Gedenktafeln am Gebäude in der Szucha-Allee in Warschau wurde 1949 von Karol Tchorek entworfen: „Ein Ort, der mit dem Blut der Polen getränkt ist, die für die Freiheit des Heimatlandes starben“.

Der Gebäudekeller wurde von der Gestapo von 1939 bis 1944 für Folterungen und Tötungen von polnischen Patrioten genutzt.

Es gibt unzählige solcher Tafeln in Warschau und vielen anderen Orten in Polen.

с Museum des Zweiten Weltkriegs, Gdansk

Die Ausstellung des Museums beschäftigt sich nicht nur mit dem Krieg in Polen, sondern sieht den Krieg aus einer europäischen Perspektive (was viele Konflikte und Diskussion auslöste). Beispielsweise wird ein ganzer Saal der Stadt Leningrad gewidmet.

Museum des Zweiten Weltkriegs, Gdansk, Polen. Foto: Mitch Altman, CC-BY-SA 2.0. Lizenzfrei: Wikimedia

Tisch 3

Erinnerungskonflikte

Ein bemerkenswerter Indikator für die Übermittlung / den Verlust von Erinnerungen ist das Wissen / die Einstellung von jungen Menschen gegenüber Erinnerungsstätten und ihr Verhalten an diesen Orten. Jüngste Beispiele des Verhaltens von jungen Menschen an Gedenkstätten haben in unterschiedlichen Ländern die Öffentlichkeit provoziert. Dabei ging es nicht nur um Kriegserinnerungen, sondern auch um allgemeine Erinnerungen an die Geschichte. Es gibt ernstzunehmende Erinnerungskonflikte, die berücksichtigt und bewertet werden müssen.

Die Aufgabe der SuS:
-> Analyse des Verhaltens von Menschen an Gedenkstätten
-> Gründe für dieses Verhalten
-> Eigene Beurteilung der Ereignisse
-> Eventuelle Lösungen dieser Konflikte.

Beispiele zur Analyse:

1. Deutschland:
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Zentrum von Berlin. Es wird regelmäßig von Kindern und jungen Menschen für Selfies, Yoga-Kurse und sonstiger Unterhaltung genutzt – Man springt, rennt und fotografiert für soziale Netzwerke mit lustigen Kommentaren.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin, Deutschland. Foto: Shutterstock

2. Russland:
2015 hat eine Tanzgruppe aus Noworossisk vor dem Denkmal Malaja Semlja für die Heldenbefreier der Stadt getwerkt. Nachdem das Video im Internet erschien, erlangte die Gruppe enorme Popularität in der Region und in der gesamten Russischen Föderation.

“Twerk und Malaya Zemlya”.
Video: YouTube

3. Polen und Belarus:
Elf Männer und Frauen, zwischen 20 und 27, darunter Polinnen und Polen und Belarusinnen und Belarusen, führten eine Aktion am Standort des früheren Konzentrationslager Auschwitz durch. Sie zogen sich aus und ketteten sich sowohl aneinander als auch an den Zaun, nachdem sie mehrere Schafe mit Messern geschlachtet hatten. Junge Menschen hissten ebenfalls eine weiße Fahne mit einer roten Aufschrift: „Liebe“ anstatt „Arbeit“ an den Toren des Konzentrationslagers (eigentliche Losung: „Arbeit macht frei”), womit sie Kriege auf der ganzen Welt verurteilen.4

Auschwitz, Oświęcim, Poland.
Photo: Bibi595, CC BY-SA 3.0.
Public domain: Wikipedia

4. Präsentation der Ländertische

Nach der Arbeit an den Ländertischen kehren die Gruppen wieder an ihre Tische vom Anfang zurück und stellen nacheinander die Arbeitsergebnisse aller drei Gruppen für jedes Thema vor. Es ist empfehlenswert, 3 bis 5 Schlüsselideen für eine Vertiefung und letztendlich als Zusammenfassung zu beleuchten.

Phase III: Erste Zusammenfassung und Analyse der Erkenntnisse

15 Minuten

In dieser Phase erlernen die SuS eine Definition des Konzepts der „Erinnerungskultur“. Dazu füllen sie eine Vergleichstabelle aus:

Vergleichsparameter Deutschland Russland Polen Belarus
Woran sich Menschen erinnern        
Warum sie sich erinnern        
Der Hauptunterschied        
Welche Gemeinsamkeit besteht?        
Was wünschst du dir als Gemeinsamkeit, was unterschiedlich ist?        
Länder in der Gegenwart und Zukunft        

Reflexion

5 Minuten

Spiel „Rucksack“

Die Lehrkraft leitet die abschließenden Reflektionen des Unterrichts (zu „Die Erinnerungskultur in verschiedenen Ländern“). Die SuS entscheiden selbständig welches Wissen / welche Erfahrungen / welche Gedanken / welche Emotionen sie aus diesem Unterricht mitnehmen, welche Ansichten sie verwerfen (die sie zum Beispiel nicht unterstützen) aufgrund ihrer Arbeitsergebnisse und welche Aspekte sie für weitere Reflektionen für den Unterricht hinterlassen.

Benötigte Materialien - SuS

4. Präsentation der Ländertische

Vergleichstabelle aus:

Vergleichsparameter Deutschland Russland Polen Belarus
Woran sich Menschen erinnern        
Warum sie sich erinnern        
Der Hauptunterschied        
Welche Gemeinsamkeit besteht?        
Was wünschst du dir als Gemeinsamkeit, was unterschiedlich ist?        
Länder in der Gegenwart und Zukunft        
 

Anhang 2

Denkmal für die Opfer des Krieges, Bad Naunheim, Deutschland

Foto: wwii.space

Denkmal für die Gefallenen und Ermordeten im Osten, Polen

Foto: Adam Grycuk, CC BY-SA 3.0 pl.
Lizenzfrei: Wikipedia

“Unbesiegt”, Khatyn, Belarus

Foto: John Oldale.
Lizenzfrei: Wikipedia

Mutter Heimat, Wolgograd, Russland

Foto: RIA Novosti Archiv

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